Kolumne Pehl
Vom guten Umgang mit Gefühlen, Gedanken und unserer Körperwahrnehmung. Der erste Schritt zu einer stabilen Resilienz ist die Selbstfürsorge. Doch wie geht es weiter?
Christine Pehl, Coach aus Augsburg nimmt uns heute mit auf eine Reise in den eigenen, inneren Raum. Schon im letzten Gespräch kam dieser Freiraum kurz zur Sprache. Heute wird sie uns genauer beschreiben, welch wunderbare Möglichkeiten in diesem Raum liegen und warum er uns hilft, resilient bzw. stark wie ein Baum zu werden.
Liebe Christine, heute sprechen wir über Resilienz, eines der wichtigsten Themen unserer Zeit. Was bedeutet dieser Begriff für dich?
Resilienz ist die Schlüsselkompetenz für ein gelingendes Leben. Es geht darum, widerstandsfähig und anpassungsfähig zu sein, wie ein Baum, der gut verwurzelt ist. Er besitzt einen kräftigen Stamm und bewegt sich im Sturm mit seinen Ästen flexibel hin und her, ohne zu brechen. Diese Standfestigkeit ist wesentlich für ein gutes Leben und wird besonders wichtig, wenn „über Nacht“ alles anders ist und Krisen belasten. Wer Resilienz entwickelt, ist gut mit seinem eigenen inneren Raum verbunden, den er oder sie beständig pflegt. Der innere Raum bringt Freiheit und Beweglichkeit – er ist die Grundlage für unsere Gesundheit und ermöglicht gleichzeitig gute Beziehungen. Resiliente Menschen können im Leben stehen und ihre Zukunft lebensbejahend gestalten – auch wenn es einmal schwierig wird.
Welche Qualitäten oder Kompetenzen verbindest du genau mit diesem inneren Raum?
Der berühmte Neurologe und Psychiater Viktor Frankl hat es wunderbar formuliert: ‚Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.‘ Das ist großartig! Wir haben es in der Hand, auf welche Art und Weise wir auf äußere Einflüsse reagieren. Es liegt in unserer Verantwortung, wie wir beispielsweise wütenden Menschen begegnen. Wir haben die Wahl zu entscheiden, ob wir wütend kontern oder gleichmütig und friedlich darauf antworten. Wichtig dabei ist: Unsere Gefühle, Gedanken und Körperempfindungen machen diesen Raum lebendig. Sie prägen 95 Prozent unserer Wahrnehmung und beeinflussen, wie wir die Welt erleben. Das gilt es sich immer wieder bewusst zu machen.
Das klingt interessant. Kannst du das vertiefen?
Wir Menschen fühlen, denken und empfinden unterschiedlich. Das hängt von unserer Geschichte und unserer Lebenserfahrung ab. Wenn bei einem Vortrag hundert Gäste im Raum sind, dann kommt bei jeder und jedem etwas anderes an. Jedes Individuum hört und spürt „das Eigene“. Die Erfahrungen, die ein Mensch verinnerlicht hat, beeinflussen seine innere Verfassung. So lebt jeder in seiner Welt und blickt durch seine individuelle Brille auf das Leben und seine Mitmenschen. Also: Sämtliche Eindrücke und Erlebnisse, die wir von Kindesbeinen an erfahren haben, prägen unseren inneren Raum. Ob Menschen ihre Zukunft aktiv gestalten oder ihr Schicksal als gegeben ertragen, hat viel mit diesem inneren Raum zu tun – und mit den Gedanken, Gefühlen und Körperwahrnehmungen, die darin beheimatet sind. Genauso wirken Glaubenssätze. Damit sind begrenzende oder auch ermutigende Denkmuster gemeint, die tief in uns verankert sind. Was wir glauben, bestimmt so lange unser Verhalten, bis wir uns dessen bewusst werden; bis wir aus einer inneren Distanz heraus erkennen, was uns bremst und was uns dienlich ist. Wer gut für sich sorgt, mistet also auch Gedanken aus oder findet einen besonderen Platz für sie. Das heißt: Wir sind in der Lage, ganz bewusst dienliche Haltungen zu kultivieren und blockierende Überzeugungen zu verabschieden.
Von Glaubenssätzen wird viel gesprochen, ob privat oder beruflich. Sie nehmen Einfluss auf unser Denken und Handeln. Wie gelingt es, tief verankerte Denkmuster von Zeit zu Zeit zu überprüfen?
Ich mache oft die Erfahrung, dass Menschen an veralteten Glaubenssätzen festhalten. Das geschieht meist unbewusst. Nehmen wir einmal einen typischen, alltäglichen Glaubenssatz wie ‚ich kann nicht singen‘ oder ‚ich kann nicht tanzen‘. Diese Überzeugung stammt vermutlich aus der Kindheit oder Jugend und hält sich hartnäckig. Der Vergleich mit anderen, die vermeintlich begabter sind, verstärkt diese Selbstzweifel. Doch Tanz und Gesang sind so viel mehr als eine professionelle Inszenierung. Tanz und Gesang sind Ausdruck unserer Gefühle und unserer inneren Bewegtheit – jenseits jeglicher Normen oder Perfektionsansprüche. Wer sich das bewusst macht, gewinnt einen neuen Zugang zu diesen kulturell gewachsenen Ausdrucksformen und zu dem eigenen Selbstverständnis. So passiert es, dass sich Erwachsene plötzlich von alten Glaubenssätzen lösen. Sie öffnen sich, um neue Erfahrungen zu sammeln, die wiederum ihren inneren Raum erweitern und ihr Leben und Erleben bereichern.
Du meinst also, im Grunde kann jeder singen und tanzen?
(lacht) Ja! Kleine Kinder zeigen uns, wie es geht. Sie singen und tanzen fröhlich und handeln aus ihrem unverfälschten, natürlichen Impuls heraus. Sie sind ganz bei sich, lebendig und drücken sich von Herzen gerne aus. Ihr innerer Raum ist noch frei. Erst später, wenn sie erwachsen werden, blockieren immer mehr einschränkende Glaubenssätze und Überzeugungen diese Freiheit. Und ihr innerer Raum wird enger und freudloser. Doch Veränderungswillige können es schaffen, sich zu öffnen und aus beklemmenden Gedankenkorsetten auszusteigen. Jede und jeder könnte sich zum Beispiel darauf einlassen, zu fühlen, wie Musik den eigenen Körper wie von selbst bewegt. Ganz absichtslos und mit Leichtigkeit. So sind neue Erfahrungen möglich, die dabei helfen, alte Glaubenssätze zu entsorgen. Diesen Müll im Kopf zu entrümpeln, macht freier und resilienter zugleich. Das ist so wichtig. Denn je älter wir werden, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir Herausforderungen zu bewältigen haben. Jene, die in der Lage sind, radikal nicht mehr dienliches loszulassen, haben mehr freie Kräfte für neue Entwicklungen.
Ein wunderbares Beispiel! Wie hältst du es persönlich mit dem Singen und Tanzen?
Es gibt eine feine Geschichte, die mich sehr inspiriert hat und die ich gerne in meinen Vorträgen und Seminaren erzähle. Ein Mann aus dem Westen ging zu einem Indianerhäuptling und sagte zu ihm: „Häuptling, ich habe alles was man besitzen kann, ein schönes Haus, ein schnelles Auto. Ich liebe meine Frau und meine Kinder und doch bin ich oft innerlich leer und unglücklich. Was kann ich tun?“ Und der Häuptling stellte ihm nur zwei Fragen: „Wann hast du zum letzten Mal gesungen und wann hast du zum letzten Mal getanzt?“. Ich liebe diese Geschichte. Wir verstehen sofort was gemeint ist. In diesem Sinne singe und tanze ich sehr gerne und viel.
Nun haben wir einen großen Bogen geschlagen vom inneren Raum über Gefühle, Gedanken und Körperempfindungen bis hin zu Glaubenssätzen und mehr Lebendigkeit. Hast du zum Abschluss einen Tipp für uns, wie wir unsere Resilienz auf einfache Weise stärken?
Es ist immer gut und ratsam, auf die Stimme des Körpers zu hören: Wenn wir durstig sind, sollten wir trinken, wenn wir hungrig sind, essen, wenn wir müde sind, schlafen. Das klingt banal, doch Ärzte und Therapeuten beobachten: Viele Menschen hören nicht auf ihre Körperweisheit. Deshalb erschöpfen sie. Die Botschaften unseres Körpers wahrzunehmen, hilft uns, gut geerdet zu sein. Das ist die Basis für alles andere. Wenn wir verwurzelt wie ein Baum sind, sind wir mit unserer natürlichen Kraft verbunden, um unseren Lebensweg durch Höhen und Tiefen zu gehen.
Vielen Dank für dieses Gespräch, liebe Christine.
Fotocredits: ©istock/fizkes, primipil
Systemischer Coach, Beraterin und Dozentin für innere und äußere Nachhaltigkeit. Als Coach und Seminarleiterin begleitet Christine Pehl seit 2010 Privatpersonen und Organisationen, die sich nachhaltig entwickeln möchten. Sie ist Dozentin an Hochschulen, hält Vorträge, leitet Seminare und teilt ihre Expertise in Buchbeiträgen und diversen Veröffentlichungen. Zudem hat Christine Pehl eine körpertherapeutische Ausbildung und coacht Menschen in vielen Berufs- und Lebensfragen.