“Manchmal definiere ich Nachhaltigkeit auch als ein „Drei-Säulen-Modell“, welches Ökonomie, Ökologie und Soziales in Balance bringt. Dabei ist es nach meiner Erfahrung essenziell, alle drei Werte gleichermaßen zu leben, sonst wackeln die drei Säulen.”
Beruflich beschäftigt sich Christine Pehl intensiv mit Nachhaltigkeitsthemen. Genauer gesagt mit der inneren und äußeren Nachhaltigkeit. Die äußere Nachhaltigkeit ist bekannter, denn sie hat seit vielen Jahren zum Ziel, Wirtschaft, Umwelt und soziale Fragestellungen in Einklang zu bringen. Man kann sie auch als „enkeltaugliches Leben und Wirtschaften“ beschreiben, in dem Sinne, dass auch unsere Nachkommen eine gute Lebensgrundlage haben.
Bereits im letzten Gespräch haben wir dieses für uns alle so wichtige Thema angeschnitten. Heute wollen wir uns intensiver damit auseinandersetzen und klären, was innere Nachhaltigkeit bedeutet und warum sie die Grundlage ist für ein gelingendes Leben und eine gute Zukunft ist.
Christine, das Thema Nachhaltigkeit ist ja in aller Munde und doch verstehen Menschen sehr unterschiedliche Dinge darunter. Wie würdest du diesen Begriff für dich kurz zusammenfassen?
Vereinfacht gesagt geht es darum: „Lasst uns so leben, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder eine lebenswerte Zukunft haben“. Manchmal beschreibe ich Nachhaltigkeit auch als ein Drei-Säulen-Modell, das ökonomische, ökologische und soziale Anliegen in Balance bringt. Dabei ist es nach meiner Erfahrung essenziell, alle drei Felder gleichermaßen zu leben, sonst wackeln die drei Säulen.
Ich denke, die äußere Nachhaltigkeit im Sinne von Umwelt- bzw. Klimaschutz ist den meisten Menschen ein Begriff. Was aber hat es mit der „inneren Nachhaltigkeit“ auf sich? Wie bist du zu dieser Unterscheidung gekommen?
Über meine Arbeit wurde mir immer bewusster, dass es auch ein inneres Klima gibt. Denn manche Fragen müssen wir erst im Inneren klären, damit wir uns im Außen nachhaltig verhalten können. Viele Menschen sind nicht mit sich im Reinen. Es geht dabei um Grundlegendes: Was macht Sinn und bereitet mir Freude, welche Werte lebe ich, wo liegen meine Talente? Und: Wie finde ich in mir Halt und Orientierung? Denn im Wort Nachhaltigkeit steckt das Wort „Halt“.
Das ist für mich ein völlig neuer, nachvollziehbarer Aspekt. Inwieweit können uns diese Fragen helfen, einen nachhaltigen Lebensstil zu finden?
Wenn wir auf diese Fragen Antworten finden, werden sie für uns so etwas wie ein Kompass oder ein Leitstern, an dem wir uns wieder ausrichten können, wenn wir gelegentlich das Gefühl haben, im Alltag verloren zu gehen. Ein guter Weg, um Klarheit zu gewinnen – oder um sich darüber klar zu werden, was mir guttut, ist für mich: „Kümmere dich um dein Königreich im Inneren, der Rest wird dir dazu gegeben.“
Sich selbst im Alltag zu verlieren scheint im Moment das Gefühl vieler Menschen zu sein. Eine Krise folgt ja augenscheinlich der nächsten. Machst du auch die Erfahrung, dass das viele Menschen über Gebühr belastet?
Ja, definitiv. Ich habe jedoch den Eindruck, dass die eigentliche Krise unserer Zeit eine spirituelle Krise ist. Menschen, Pflanzen und Tiere sind eingewoben in das große Netz des Lebens. Wenn wir mit diesem Netz gut verbunden sind, werden wir geführt und bekommen entscheidende Impulse. Ich beobachte, dass viele Menschen in unserer Zeit von diesem Zugang abgeschnitten sind und sich verlieren. Sie spüren nicht, was für ihre Situation stimmig wäre. Deshalb ist es so wichtig die eigene innere NachHALTikgeit wiederzuentdecken, um Halt zu finden.
Wissenschaftler sprechen ja von „Resonanz“ als einem entscheidenden Faktor in der Verbindung mit der Welt. Warum ist das so schwierig für uns?
Wir bekommen in unserem Schul- und Bildungswesen wenig Handwerkszeug für innere Fürsorge und deshalb wissen wir oftmals nicht, was zu tun ist, wenn wir uns unrund fühlen. So gehen wir in die Welt und treffen auf Menschen, denen es ähnlich geht – wir „verheddern“ uns dann miteinander. Wenn es uns jedoch gelingt, ruhiger und friedlicher zu werden, dann strahlen wird das ebenfalls aus und begünstigen eine entsprechende Resonanz – eine Atmosphäre, die unser Zusammenleben positiv beeinflusst, privat und beruflich.
Zusammenarbeiten ist ein wichtiges Stichwort. Vor allem der jüngeren Generation sagt man ja nach, dass die Work-Life-Balance oberste Priorität hat. Ist das nur ein Trend oder ein wichtiger Aspekt für eine bessere, nachhaltigere Zukunft?
Früher wurden innere Anliegen wie Selbstfürsorge, Achtsamkeit und Resilienz als eine rein private Aufgabe betrachtet. Zum Teil auch ein wenig belächelt. Heute wird jedoch erkannt, dass diese Fähigkeiten im beruflichen Umfeld und in der Zusammenarbeit in Organisationen äußerst wichtig sind. Denn ohne diese Zugänge entstehen immer häufiger psychische Erkrankungen, Burn-Out und Depressionen. Das schadet nicht nur dem Einzelnen, sondern auch der Wirtschaft, wenn immer mehr Mitarbeiter länger krank sind und fehlen.
Es ist also ein guter und richtiger Schritt, dass nicht nur „Privatpersonen“, sondern auch Unternehmen und Organisationen beginnen, umzudenken und so den Bewusstseinswandel mitgestalten. Welches Fazit zur Nachhaltigkeit würdest du also zum heutigen Zeitpunkt ziehen?
Mein Leitsatz ist: „Wenn unser innerstes Klima ruhiger wird, wird es auch im Außen ruhiger.“ Dahinter steht zumeist eine Sinnfrage wie zum Beispiel: Kann ich mich mit meinem Leben identifizieren – mit meiner Arbeit und meinem privaten Leben? Und genau hier sind wir bei der Klärung der eigenen, inneren Nachhaltigkeit.
Fotocredits: ©istock/tortoon, AUNG MYO HTWE, Liderina
Systemischer Coach, Beraterin und Dozentin für innere und äußere Nachhaltigkeit. Als Coach und Seminarleiterin begleitet Christine Pehl seit 2010 Privatpersonen und Organisationen, die sich nachhaltig entwickeln möchten. Sie ist Dozentin an Hochschulen, hält Vorträge, leitet Seminare und teilt ihre Expertise in Buchbeiträgen und diversen Veröffentlichungen. Zudem hat Christine Pehl eine körpertherapeutische Ausbildung und coacht Menschen in vielen Berufs- und Lebensfragen.
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